Presse
Kölner Stadt-Anzeiger, 03.06.2004
Der Geist des Mittelalters
Thomas Gebhardt leitete ein großes Pfingstkonzert mit musikalischen Raritäten des frühen 20. Jahrhunderts.
VON MARIANNE KIERSPEL
Longerich - Die weiträumige Kirche St. Bernhard war voll besetzt, und das am sonnigen Pfingstsonntag bei einem nicht eben gängigen Programm. Offenbar hat sich herumgesprochen, wie anregend der junge Kirchenmusiker Thomas Gebhardt seit 1999 im Kölner Norden arbeitet. Schon der Aufbau des Programms und sorgfältige Einführungstexte halfen beim Verständnis der Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Vier Chorwerke aus Frankreich und England rankten sich um den gregorianischen Pfingst-Hymnus "Veni creator spiritus" (Komm Schöpfer Geist).
Den stellten die Männerstimmen zu Anfang vor, so rein und atmend wie die Choralschola eines Mönchsklosters. Dann trugen die Männer und der Organist Georg Leisse Maurice Duruflés Variationen von 1929 nach einer alten Praxis im Wechsel vor. Von Hector Berlioz folgte eine überraschend sanfte Motette für unbegleiteten Frauenchor. Begeistern konnte auch das große Ensemble für Benjamin Britten: die Chorgemeinschaft St. Bernhard, das Collegium Cantorum Köln, das erweiterte Polygon Kammerorchester sowie das Soloquartett Lea-Ann Dunbar, Uta Christina Georg, Hubert Grunow und Rainer Land.
Offenbar kennen die Longericher den englischen Komponisten gut. Das zeigte jetzt das Herzstück des Programms, Brittens Radiokantate "The World of the Spirit" von 1938, die sie erst kürzlich schon zum Ökumenischen Kirchenmusikfestival beigetragen haben - eine Kölner Erstaufführung. Denn das eigentümliche Werk war lange verschollen. Durch die Musik weht, manchmal versteckt, wieder der Pfingst-Hymnus aus dem Mittelalter. Auch der evangelische Gemeindechoral scheint auf, Kunstgriffe von Bach und ein Alleluja-Chor, der das große Ensemble zu festlichem Jubel vereinte.
Benjamin Brittens Musik umrahmt Texte aus der Bibel und aus der Geschichte. Sie handeln vom oft rätselhaften Wirken des Geistes. Jetzt trugen Marina Rester und Peter Lieck die Texte auf Deutsch vor, eine Anregung zum Nachdenken. Die Longericher Aufführung dürfte unter den Kölner Pfingstkonzerten als ein Prunkstück zu verzeichnen sein.
Kölnische Rundschau, 07.12.2001
Kunstation St. Peter
KLÄNGE WIE VON ENGELN
von Olaf Weiden
Das Lied "Sainte Nicholaes" soll dem Mystiker Godric of Yorkshire im Traum eingefallen sein. Es stammt aus dem 12. Jahrhundert und stellt einen der ältesten aufgezeichneten Gesänge der englischen Musikgeschichte dar. Die zahlreichen Gäste in St. Peter durften dieses Lied gleich dreimal hören: von einem engelgleichen Damenchor von Seitengalerien herab, danach von den Herren, dann gemischt vom gesamten Collegium Cantorum Köln beim Einzug zum Altarraum, wo sich die verschiedenen Musikensembles zum Hauptwerk des Abends vereinigten.
Die Chorgemeinschaft St. Bernhard, der Kinderchor an Christ König und St. Bernhard (Köln-Longerich), erwähntes Collegium, den Solo-Tenor Hubert Grunow und das Polygon Kammerorchester führte der Kirchenmusiker Thomas Gebhardt zusammen, um ein Werk des großen englischen Komponisten Benjamin Britten aufzuführen.
Erinnerung an Brittens Todestag
Die Kantate "Saint Nicolas" passte nicht nur in die Jahreszeit, sie sollte auch an den 25. Todestag des Komponisten erinnern, der am 4. Dezember 1976 starb.
Der verdiente Schlussapplaus nach der gleichermaßen professionellen wie liebevollen Aufführung zeigte deutlich, dass sich die Arbeit von Thomas Gebhardt gelohnt hat. Die Kantate bietet alles: anspruchsvolle Chorsätze, dramatische Arien für die Solisten, anrührende Kinderchorpassagen mit halbszenischen Zusätzen, stetes Spiel mit Fernchören und Antiphonen, einen feinen Orchesterklang mit solistischen Anforderungen und glanzvollen Auftritten der Perkussionisten.
Sogar das Publikum wurde zweimal zum Choral mit Orgel und prallem Orchestersatz gebeten, herzhaft einzustimmen und Teil der Aufführung zu werden. Da dürfen die Kölner Musikfreunde nur hoffen, dass der finanzielle Atem noch für viele solch engagierte Projekte ausreicht.